Wenn ich meinen Freund George auf Chelsea anspreche, dann leuchten seine Augen. Den Jungs gehört sein Herz. Wenn ‘The Blues’ spielen, dann gibt es für ihn kein Halten mehr. Immerhin hatten sie einen deutschen Trainer (Thomas Tuchel), aber von den Spielern kenne ich keine Namen. Allerdings spielen sie auch gar nicht in Chelsea, sondern in Fulham, an der Stamford Bridge. Das liegt schon außerhalb von Chelsea, dem schmucken Nachbarn von Westminster. Chelsea ist reich, aber nicht arrogant. Viele prominente Leute lebten und leben hier. Sie sind reich, oft bunt und manchmal laut; aber immer lebensfroh. Das war schon früher so, als dort Oscar Wilde mit seiner Familie einzog, obwohl er selbst meistens in Luxushotels in der Stadt übernachtete. Im Savoy Hotel hatte er jahrelang einige Koffer mit seiner Kleidung deponiert, stets für den Fall, dass er ein Raum für die Nacht brauchte. Ein Exzentriker und begnadeter Schriftsteller. Sein Nachbar Bram Stoker nicht minder. Der war aber nicht von der Schönheit fasziniert, sondern vom Grafen Dracula und seinem nächtlichen Treiben. Rund einhundert Jahre später war es nicht anders. Jetzt hießen die Mieter Mick Jagger und Keith Richard. In den 1960-er Jahren war Chelsea die Hochburg der Popkultur und Leute wie Georgie Fame und Rod Stewart prägten Begriffe wie ‘Chelsea Boots’. Damit waren glitzernde Schuhe mit dicker Plateausohle gemeint, die den oft etwas kurz geratenen Engländer gute zehn Zentimeter zusätzliche Länge schenkten. Dafür gab man gerne den festen Stand auf und riskierte einen Knöchelbruch.
Irgendwann zog die Meute weiter, ließ sich in Notting Hill nieder und in Chelsea kehrte wieder Ruhe ein. Heute ist es eine wunderbar bürgerliche Ecke, nahe an Londoner Zentrum, mit der Themse vor der Haustür. Teuer ist es noch immer, sogar ausgesprochen exklusiv. Hier findet man die Restaurants prominenter Köche, deren Eingang so diskret gestaltet wurde, dass man sie nur findet, wenn man die Adresse kennt. Chelsea ist nett, sonnig, freundlich. Ich denke immer, irgendwie swingt es noch immer. Kunst und Klugheit sind hier zu Hause, aber man schottet sich nicht ab. Im Gegenteil, Gäste sind willkommen, wenn sie sich benehmen und irgendwann auch wieder gehen. Die Chelsea Flower Show, die jedes Jahr im Mai stattfindet, ist eines der vielen Gelegenheiten für einen Besuch. Aber nur mit Ticket, das monatelang vorher bestellt werden muss. Die Show lebt von Superlativen, bietet das Beste vom Besten. Die komplette königliche Familie gehört zu den Stammkunden. Wer das Glück hat eine Karte zu bekommen (es sind immer nur Stunden-Slots!), der sollte sich in die Garderobe schmeißen. Bei der Flower Show zeigt man Stil und Eleganz. Was nicht ausschließt, dann man mit beiden Händen in der Erde wühlt, weil man die Pflanzen natürlich auch kaufen kann.
In Chelsea gibt es einige bekannte Touristenziele. Darunter das Royal Hospital, ein Altersheim für Veteranen. Hört sich vielleicht nicht attraktiv an, ist aber unbedingt einen Abstecher wert. Die Damen und Herren dort freuen sich und erzählen gerne aus ihrem spannenden Leben. Sie sind auch die Gastgeber der Blumenschau, von der ich gerade erzählt hatte. Am Abend laden sie sich Musikbands wie die ‘Beach Boys’ ein. Die singen dann vom Surfen in den USA und die betagten Zuhörer träumen von den wilden Jahren in Chelsea.
Ein Stück weiter, an der Themse entlang, kommt man zum Apotheker-Garten. Ein Geheimtipp für eine Ruhepause. Der große Garten ist voller Blumen und exotischer Pflanzen, alles angelegt von erfahrenen Gärtnern. Schwerpunkt sind Heilkräuter aus aller Welt. Wenn man schon dort ist, kann man noch ein wenig in den umliegenden Straßen herumschlendern und diskret über die Zäune schauen. Hier präsentiert sich der Engländer von seiner nettesten Seite. Alles ist sehr liebevoll bis ins Detail gestaltet worden und ich nehme immer einen Berg von neuen Ideen mit nach Hause.
Für Militärfreunde bietet sich das National Army Museum an und für die Kunstfreunde wartet die Saatchi Gallery auf Besucher. Beides liegt an der King’s Road, die Hauptstrasse von Chelsea. Hier spielte früher die Musik. Modeschöpferinnen wie Vivienne Westwood hatten dort Boutiquen und erfanden die Punk-Mode. Alleine der Gedanke, dass hier die Rolling Stones tagtäglich zusammen mit den Beatles im Pub saßen, lässt mein Herz höher schlagen. Chelsea war damals (1960-70) der Nabel der Popwelt. Heute ist es deutlich ruhiger, aber noch immer prominent und wunderschön.
Wenn Sie das dann alles besucht haben und noch immer gut zu Fuß sind, dann lohnt sich der Rückweg über das Südufer der Themse. Über die Albert Bridge kommt man schnurstracks in den Battersea Park. Dort kann man einen Becher Kaffee bekommen und es sich auf dem Rasen bequem machen. Zurück geht es dann über die Chelsea Bridge und danach immer geradeaus, bis die U-Bahnstation Sloane Square in Sicht kommt. Benannt nach dem irisch-stämmigen Physiker, der ganz nebenbei die heiße Schokolade erfunden hatte. Alleine dafür hat er sich ein Dankmal verdient. Aber er war auch ein großzügiger Spender und Förderer der damaligen Gemeinde. Er lebte in Chelsea und ist noch heute überall sichtbar. Da gibt es die ‘Hans Street’ und so manches Geschäft mit seinem in England unüblichen Vornamen. Aber darüber schreibe ich einen eigenen Beitrag, denn der gewaltige Sloane lässt sich nicht in ein paar Sätzen darstellen.
Chelsea ist ein Stadtteil von London und gehört zum Borough of Kensington and Chelsea. Die markierte Fläche zeigt Chelsea und ist nicht sehr groß, vergleichbar mit dem Hyde Park. Aber gut, den durchläuft man auch nicht in zehn Minuten. Man kann Chelsea von Westminster aus gut zu Fuß erreichen oder man nimmt die Underground bis zum Bahnhof Sloane Square. Im Sommer bietet sich die Fähre an, die vom Transport of London betrieben wird. Sie hält an allen Anlegestellen.