5. April 1968
Auch heute ereignete sich etwas Spektakuläres auf der Themse, nahe der Tower Bridge. Genauer gesagt, exakt zwischen den beiden Türmen der Brücke. Ein Flugzeug hatte Kurs genommen und rauschte unter dem oberen Laufsteg, nur wenige Meter über dem Autoverkehr, durch. Natürlich ist es verboten, gefährlich, extrem leichtsinnig (…), also genau nach dem Geschmack der Engländer.
Das Flugzeug wurde von einem erfahrenen Piloten der Royal Air Force (RAF) gesteuert. Sein Name war Alan Pollock. Seine Flugroute war natürlich nicht autorisiert und löste Alarm aus. Nachdem er diverse Londoner Attraktionen angeflogen hatte, zog er schließlich im Tiefflug durch die Tower Bridge durch.
Nach der Landung auf dem heimischen Stützpunkt wurde er von der Militärpolizei in Haft genommen. Seine Karriere war beendet, er wurde aus dem Dienst entlassen, aus medizinischen Gründen, wie es offiziell genannt wurde.
War Pollock verrückt? Hatte er zu viel Alkohol getrunken oder stand er unter Drogen? Dreimal lautet die Antwort nein, er war einfach nur wütend. Sein Zorn richtete sich gegen das Verteidigungsministerium, das im Kriegsfall auf ihn zählen würde. Aber in Friedenszeiten wertet man oft anders und so geschah es, dass das Ministerium das 50-jährige Jubiläum der Royal Air Force schlicht ignoriert hatte. Die Piloten hatten auf einen spektakulären Vorbeiflug gehofft, wie er jedes Jahr zu Ehren der Queen präsentiert wurde. Aber man stieß auf eisiges Schweigen, der Plan wurde abgelehnt. Also machte Pollock seine eigenen Pläne und verwirklichte sie auf sensationelle Weise.
Der Mann hatte wirklich Nerven so dick wie Stahlseile. Auf einem genehmigten Gruppenflug setzte er sich kurzerhand ab. Dann landete auf seinem Stützpunkt und stieg in eine kleine Maschine um. Mit der nahm er Kurs auf London. Dort angekommen, umkreiste er dreimal das House of Parliament. Dort drinnen saßen die Verantwortlichen, die kurz vorher der Royal Air Force die Gelder gekürzt hatte. Pollocks Antwort war ein (un-) freundlicher Fliegergruß an die Politiker.
Anschließend rauschte er über das Denkmal am Themseufer, das durch den goldenen Adler auf der Spitze auffällt. Besonders, wenn die Sonne scheint. Die Säule mit dem Greifvogel ist das Ehrenmahl für die Royal Air Force. Beim Vorbeiflug, wieder extrem niedrig, grüßte er, indem er mit den Flügelspitzen ‘winkte’. Und dann nahm er noch einmal Geschwindigkeit auf, folgte dem Flusslauf und flog ungebremst durch die Brücke. Jeder, der das gesehen hatte, Autofahrer, Brückenpersonal oder Besucher, wird die Luft angehalten und am eigenen Sehvermögen gezweifelt haben.
Bevor er sicher landete, machte Pollock noch diversen Militärflughäfen im Umland von London einen Besuch, indem er in extrem geringer Höhe über das Gelände flog. Es sollte ein ‘beat up’ für die Kollegen sein, ein letzter Protest von Alan Pollock. Der war nämlich voll zurechnungsfähig und wusste, dass er nie wieder als Pilot fliegen durfte.
Eine juristische Verhandlung vermied man peinlichst. Man wollte auf keinen Fall, dass die Sache in aller Öffentlichkeit diskutiert wird. Schon gar nicht die Beweggründe, die Pollock zu seinem ‘Stunt’ veranlasst hatten. Diesbezüglich wurde er fair behandelt, denn selbst der heutige König, bekam keine ordentliche Anhörung, als er vor vielen Jahren den Privatjet der königlichen Familie in einer Bruchlandung schredderte. Er hatte damals eine Pilotenlizenz und bestand gerne darauf, selbst den Knüppel zu übernehmen. Bis dann eines Tages das Ungeschick passierte. Zum Glück ohne Verletzte, nur immenser Sachschaden. Schwamm drüber, schnell aufräumen und dann einfach weitermachen, als wäre nix geschehen. Keep calm and carry on.