Ein staatlicher Gedenktag, der im November gefeiert wird. Man erinnert an die Opfer von Gewalt und Krieg aller Nationen. Die Engländer machen es zeitgleich, stellen aber ihre gefallenen Soldaten in den Mittelpunkt. Sie nennen es Remembrance Day. Zufällig war ich einmal zu der Zeit gerade in London und dachte mir, man könnte vielleicht mal schauen, was da so passiert. Ich hatte nichts Spannendes erwartet. Aber immerhin sollte die Queen und ihr Sohn, damals noch Prince of Wales, anwesend sein und ‚mein‘ Präsident, Frank Walter Steinmeier, war als Ehrengast eingeladen worden. Darauf war ich ein wenig stolz, denn es geht an diesem Tag um die beiden Weltkriege und da standen wir nicht auf der Seite der Engländer.

Die zentrale Zeremonie findet in der Straße ‚Whitehall‘ statt. Dort steht mitten auf der Fahrbahn ein großer Cenotaph (ein leeres Ehrengrabmal), an dem Kränze niedergelegt werden. Schon von Weitem hörte ich sie spielen, die Musiker der Household Cavalry. Keinen Trauermarsch, sondern recht flotte, eingängig Stücke. Am St James’s Park angekommen, staunte ich nicht schlecht. Die breite Prachtstraße ‚Mall‘, die schnurstracks auf den Palast zuläuft, war komplett von Menschenmassen gefüllt. Ganz London schien auf den Beinen zu sein. Alle waren fröhlich, gut gelaunt, mit Kind und Kegel bzw. Vierbeiner unterwegs. Es war einfach nett.

 

 

Ganz anders als bei uns. Da sieht man an den Trauertagen keinen Menschen in der Stadt. Auf den Friedhöfen werden die Gräber mit Tannen abgedeckt, mancher hat einen Kranz oder eine Blume mitgebracht. Alle sind still, totenstill. Man schaut mit gesenktem Blick zum Boden, bloß keinen Kontakt aufnehmen, nicht grüßen, kein Lächeln, geschweige denn ein Lachen. Das wäre ganz und gar falsch, glaubt man. Dabei würde es doch im Handumdrehen die ganze schwere Last nehmen.

Wie kommt es, dass zwei Nationen so unterschiedlich auf Trauer reagieren? Das meistgewünschte Lied auf englischen Beerdigungen ist Monty Pythons ‚Always look on the bright side‘! Bei uns stehen ‚Somewhere over the rainbow‘ und noch immer ‚Time to say good-bye‘ hoch im Kurs. Spätestens beim Refrain wird dann das Taschentuch hervorgeholt, während die Engländer sich unterhaken und lautstark einstimmen.

Ich habe meinen englischen Freund gefragt, der sowohl in London als auch in Hamburg zu Hause ist und er konnte mir eine recht brauchbare Antwort geben. Er sagte mir: „Seriousness is acceptable but solemnity is prohibited.“ Auf Deutsch: „Du darfst die Trauer ernst nehmen, das darf dir wichtig sein, aber bitte werde dabei nicht feierlich oder gar steif.“ Dann fuhr er fort: „Sincerity is allowed but earnestness is strictly forbidden.“ Mit anderen Worten, aufrichtige Trauer ist angemessen, aber bitte niemals gemischt mit Ernst oder gar Eifer. Sobald jemand anfängt zu übertreiben, seine Betroffenheit zu dramatisch zu inszenieren, dann kennt der Engländer nur eine passende Antwort: „Oh, come off it!“

Ich kann damit ausgezeichnet leben und deshalb bin ich gerne auch mal im November auf der Insel und nehme dann mit Freude am britischen Volkstrauertag teil. Das waren bisher immer gute Gelegenheiten, um mit den Leuten ins Gespräch zu kommen und vielleicht sogar Freunde zu finden. Was kann man an einem Kriegs-Gedenktag Schöneres machen?