Gleich landet das Flugzeug in Heathrow. Ich bin zum dritten Mal zu Besuch in London. Erst? Ja, es stimmt. Die Tage, die ich in dieser Stadt aufwachte, kann ich immer noch leicht an zwei Händen abzählen. Trotzdem kommt manchmal für einen Augenblick lang das Gefühl auf, dass ich das alles kenne. Ich fühle mich, als wäre ich (endlich) zu Hause. Sobald ich es begründen will, fehlen mir dafür die Worte.
Trotzdem hat London viele Überraschungen für mich parat. Als allererstes fiel mir die geografische Lage auf. In meiner Vorstellung war die Britische Insel viel weiter nördlich verankert, als sie es tatsächlich ist. Gefühlt lag London für mich immer auf demselben Breitengrad wie Hamburg. Inzwischen weiß ich, dass London 2 Grad (ca. 220 km) weiter südlich zu finden ist und damit auf Höhe des Rheinlandes. Man merkt es am Wetter. Der Winter ist milder, als in Hamburg.
Das Thermometer fällt nur selten unter den Gefrierpunkt. Schnee und Eisglätte sind Ausnahmen, die nur von kurzer Dauer sind. Sobald auch nur wenige Flocken liegen, bricht der Verkehr zusammen. Man hat keine Räumfahrzeuge, kein Streusalz, keine Winterreifen, keine Stiefel und keinen Schneeschieber. Stattdessen wartet man ab, am nächsten Morgen wird alles wieder getaut sein.
Obwohl in den letzten Wochen auch in London der kalte Wind pfiff und die Temperaturen immer knapp unter +10° waren, sah ich auffallend oft Menschen in T-Shirts, Flip-Flops und sogar Shorts auf den Straßen! Die Engländer scheinen Kälte gut auszuhalten und außerdem haben sie einen genialen Trick. Sobald die Temperaturen sich dem Gefrierpunkt nähern, ändert man die Maßeinheit. Dann heißt es nicht mehr 0° Celsius, sondern 32° Fahrenheit. Schon fühlt man sich wieder pudelwohl.
Die zweite Überraschung waren die vielen Hochhäuser. London hat eine Skyline! Die markanten alten Gebäude, wie das House of Parliament, die Tower Bridge und der Turm von Big Ben prägen nach wie vor das Stadtbild, aber inzwischen gibt es deutlich höhere Gebäude, denen einzig die St. Paul’s Cathedral trotzen kann. Allerdings nur wegen ihrer zeitlosen Schönheit. In ihrer Höhe wird sie längst von den nahen Wolkenkratzern überragt.

George wohnt unmittelbar am Naturschutzpark „Hampstead Heath“. Der befindet sich im Norden von London, nicht allzu weit vom Zentrum entfernt. Dort gibt es einen kleinen Hügel, den „Parliament Hill“, der eine hervorragende Sicht auf die Innenstadt bietet. Oft gehen wir nachmittags dorthin und bleiben, bis die Sonne untergeht. Da liegt dann die Londoner Skyline im fernen Dunst zum Greifen nah.
London ist deutlich größer als Hamburg, hat vier bis sechs Mal so viele Bewohner, -je nachdem was man alles zu London mitzählen will-, und ist doch eine grüne Stadt geblieben. Überall finden sich große Parks, viele davon zentral gelegen. Manchmal werde ich morgens wach und höre markante Laute. Nein, ausnahmsweise nicht von George. Aber er wusste, was mich aufweckte, nämlich Löwen. Kein Scherz; sie leben ganz in der Nähe. Sie haben ihr Zuhause im Regent’s Park, dort ist der Londoner Zoo zu finden.
George brüllt selten, grummelt aber gerne und oft. Vor vielen Jahren kam er in Birmingham zur Welt und ist damit ein waschechter ‘Brummie’. Das ist die offizielle und politisch korrekte Bezeichnung für Birminghamer und ihren Akzent. Ich glaube was die Franken für Deutschland sind, sind die Brummies für England. Jedenfalls werden sie gerne von Comedians sprachlich imitiert.
Ich gebe mal ein Beispiel, wie das so klingt: „oo d’ya does“ höre ich oft von George und damit sagt er einfach: „how do you do“. Oder die Frage: „Will you stay at home or come to the pub?“, heißt bei ihm „Oot stoy at um or oot cum ter the broo’us.“ Das musste er mir aufschreiben und trotzdem kann ich es nicht als Englisch identifizieren. Macht aber nichts, denn der geborene Brummie verschluckt ca. 75 % seiner Sätze, da wird dann eben gegrummelt und nur gelegentlich taucht ein Wort erkennbar auf.
Als junger Mann kam George nach London und musste erst einmal seinen Akzent verlernen. Es ist ihm gelungen, heute spricht er bestes Englisch. Aber manchmal fällt er in alte Gewohnheiten zurück und dann grummelt er „bye-bye an’ yav a bostin doy“ und das erwidere ich danngerne. „Bye-bye and have a nice day!“