Ich weiß, dass jede neue Generation das Recht hat, sich und die Welt neu zu erfinden. Sie haben sogar die Pflicht, die Dinge weiterzuentwickeln. Sonst würden wir heute noch in der Höhle hocken und auf gutes Wetter warten. Was übrigens ziemlich genau meine aktuelle Situation beschreibt, aber das erwähne ich nur mal nebenbei. Die Alten hingegen, also meine Generation und ich, hat das Recht alle Neuerungen erst mal kritisch zu beäugen. Wir sollten dann nicht lapidar feststellen, dass früher alles besser war, aber wir müssen uns auch nicht der jugendlichen Begeisterung anschließen.
Früher war es auf jeden Fall einfacher. Da gab es zwei politische Lager: links und konservativ. In Diskussionen knallte der amerikanische Lebenstraum auf den sozialistischen Weg. Wenn man nicht weiterwusste, sagte man einfach: „Dann geh‘ doch rüber!“ Das verschaffte einem die nötige Zeit, um halbwegs aufrecht das Weite zu suchen. Heute sind solche klaren Ansagen unmöglich. Das liegt schon an den vertretenen Standpunkten. Sie sind so wabbelig weich formuliert, dass man keine Angriffsfläche findet. Wer früher selbstkritisch dachte, kam auf die Idee, im Januar den Alkohol wegzulassen. Heute wird Fleischverzicht geübt. Im Prinzip geht es in die gleiche Richtung, aber das genügt nicht mehr. Man braucht die richtige Atmosphäre, um es gut finden zu können. Da erfindet man dann den Begriff Veganuary und wirbt mit rosa-roten Websseiten Hintergrund. Eine junge Frau trägt ein Ferkel auf dem Arm, ein junges Pärchen hält liebevoll ein Huhn in seiner Mitte. Dazu das Grußwort von Eckart von Hirschhausen, der wie folgt beginnt: „Als Arzt und Fan der ‚planetary health diet‘ weiß ich, …“ Geht’s noch, Herr Doktor?

In London gibt es zahlreiche Clubs. Viele nur für Mitglieder, manche halb offen. Die klassischen Gentlemen Clubs sind in St James’s angesiedelt und man braucht eine Empfehlung und eine gut genährte Kreditkarte, um nach jahrelanger Wartezeit Aufnahme zu finden. Die Damen haben sich ihre Clubs längst selbst eröffnet. Man findet sie im West End, insbesondere rund um Covent Garden. The Conduit zählt zu diesen Clubs. Dort kann man Carry Johnson treffen, die Ehefrau von Boris. Vor der Wahl der Getränke sollte man unbedingt in das Themen-Menü geschaut haben, sonst landet man schnell im Abseits. Man kümmert sich um Dinge wie: Racial Equity, Climate Action, Sustainable Future und Peace. Es wird erwartet, dass man großen Wert auf Diversity, Equity and Inclusion legt, wobei ich den Eindruck habe, dass genau das in den Räumen nicht wirklich stattfindet. In Sachen Health and Wellbeing sollte man topfit sein und möglichst weiträumig schwadronieren, während man den Cocktail schlürft.
Ach Leute, wo sind wir bloß gelandet. Erst ersetzten wir unsere Sprache durch Icons, dann durch grimassierende Smileys. Heute werden damit ganze Mitteilungen gefüllt, ohne ein einziges Wort einzufügen. Wann immer ich es sehe, werde ich das Gefühl nicht los, dass der Absender gar nicht mit mir reden will, sondern mich nur als Spiegel für sein Ego benutzen möchte. Da werden Kick-Off-Meetings angekündigt, die man besuchen muss, wenn man zum High Potential zählen möchte. Die Bitte nach einem Coffee-to-Go wird mir nie über die Lippen kommen, denn sie klingt in englischen Ohren einfach nur unverständlich oder gar lächerlich. Und Einladungen zu Get-together ignoriere ich grundsätzlich. Wer seine Customer Relationship justieren möchte, muss bitte ohne mich üben. Was ist bloß los? Ist das sprachlich ein Zugewinn oder mangelt es den meisten inzwischen am Grundschatz der deutschen Worte?
Gut, dass ich George bei mir habe. Der ist bodenständig, bildet sich nix auf seinen Doktor ein und weiß mich immer schnell zu erden. Mit anderen Worten, er tut mir gut. Als ich über Themen wie ‚Health, Nutrition and Wellbeing‚ klage, weil mir das ständig aufgezwungen und jede Kritik daran als moralischer Selbstmord geahndet wird, hat er eine kluge Antwort parat: „Everywhere I look, in social media, press or advertising, I see wellness and I’m bored of it. There’s too much wellness, we don’t need anymore wellness. Wellness is good for you, supposedly, but the problem is, it’s not fun.“ Mein kluger Mann, wie recht er doch hat.