Kennen Sie den Namen? Nein? Ich auch nicht und deshalb blieb ich auch nicht stehen, als ich ihn auf einem Grabstein las. Links und rechts waren neuere Eintragungen hinzugekommen, aber in der Mitte stand ‚Otto Witte‘ geschrieben. Er war ganz sicher das Familienoberhaupt, der Vater, der Ehemann, vielleicht auch Firmengründer. Davor lagen frische Blumen, alles war sauber und gepflegt. Ich war schon einen Schritt weitergegangen, da blieb ich dann doch abrupt stehen und ging noch einmal zurück. Hatte ich richtig gelesen? Stand unter dem Namen der Eintrag ‚Ehem. König v. Albanien‘?
Tatsächlich! Ich hatte es richtig gelesen und konnte es doch nicht glauben. Mir ist zwar die albanische Thronfolge unbekannt und dass es dort einmal einen König gab, schien mir ziemlich wahrscheinlich. Nur warum sollte der Mann in Hamburg auf dem Ohlsdorfer Friedhof bestattet worden sein? Und dass er den schönen und sehr deutschen Namen ‚Otto‘ trägt, wollte mir auch nicht einleuchten. Obwohl, wer weiß. Das englische Königshaus hat ja auch seine deutschen Verwandten, was man tunlichst nicht ausspricht, wenn man die Insel besucht.
Vor Ort konnte ich es nicht klären, aber ein Foto war mir diese geheimnisvolle Inschrift allemal wert. Gleich unter Otto Witte ist vermutlich seine Ehefrau benannt: ‚Maria Witte, geb. Bier‘. Auch das klingt nicht wirklich nach einer Prinzessin. Zu Hause habe ich dann ein bisschen recherchiert und wurde schnell fündig. Eine amüsante Geschichte gehört zu diesem Grabstein. Otto Witte war ein Schausteller, geboren in Dortmund und in Hamburg verstorben. Er trat auf Jahrmärkten auf und bereiste halb Europa, denn er gehörte zum Ensemble des Zirkus Althoff. Witte konnte zaubern, trat als Wahrsager auf und konnte wohl auch recht gut schwindeln. Jedenfalls gilt er heute als überführter Hochstapler. Er verbreitete gerne sensationelle Geschichten über sich und sein abenteuerliches Leben. Angeblich war er auf dem Balkan in Gefangenschaft geraten, konnte aber entfliehen und landete schließlich in Afrika. Nach einiger Zeit zog es ihn zurück in die Heimat, aber erst einmal strandete er 1912 in der Türkei. Dort wurde er angeblich vom Geheimdienst angeworben und hat dann aktiv für die Türken im Ersten Balkankrieg spioniert. Schließlich ernannte man ihn zum König von Albanien aufgrund einer Verwechslung, die nach sechs Tagen aufflog. Bis zum Tod bestand Otto Witte auf seine fünftägige Regentschaft in Albanien. Er schrieb darüber Bücher und auch die Presse nahm die sensationelle Geschichte dankbar auf. Man spekulierte nach Herzenslust über die Abenteuer des wackeren Mannes. Spätere Nachforschungen ergaben allerdings kein einziges Körnchen Wahrheit, da konnte man sieben so viel man wollte. Die Zeiten waren damals turbulent, es gab weder Kriegsjournalisten noch allabendliche TV-Nachrichten. Man hatte kein Internet und kaum Informationen über fremde Länder. Deshalb konnte Witte lange mit seinen fantasievollen Erzählungen Eindruck schinden, aber handfeste Beweise hat er nie geliefert. Es hat wohl auch nie jemand genau nachgefragt. Immerhin hat sich sein Grab erhalten, es wird offensichtlich regelmäßig besucht und gelegentlich bringt man Blumen vorbei. Lassen wir ihm also seinen Titel und freuen uns, dass ein Fünf-Tage-König in Ohlsdorf begraben liegt.