Da steht er am Teich, mitten im Parkfriedhof. Er ist kaum zu übersehen. Der Graureiher bringt es durchaus auf 90-100 cm Körperhöhe. Aufrecht schreitet er am Wasser entlang und hat den Schilfgürtel dabei genau im Blick. Ganz ruhig macht er das, denn er hat sehr viel Geduld. Dabei ist er hoch konzentriert, denn er sucht nach lebender Nahrung. Neben kleinen Fischen nimmt er auch gerne einen Frosch oder eine kleine Schlange. Wenn er auf dem Feld sucht, dann sind Mäuse die begehrte Beute. Sein dolchartiger Schnabel ist kräftig und kann zielsicher eingesetzt werden. Trotzdem dauert es manchmal sehr lange, bis sich etwas Passendes nähert und dann kommt Leben in den Vogel. Blitzschnell packt er zu. Aus dem Schnabel entweicht keiner, das ist eine feste Zange. Sieht man den Reiher aus der Ferne, dann ist sein S-förmiger Hals ein gutes Erkennungszeichen. Sogar während des Fluges hält er ihn stets geschwungen, so kann man ihn gut erkennen, wenn er in größeren Höhen vorbeifliegt.
Dieser wunderschöne Graureiher scheint mir kleiner als ein Meter zu sein. Vielleicht ein Jungtier? Er lebt an einem der Teiche auf dem Ohlsdorfer Friedhof. Schon einige Male habe ich ihn dort gesehen. Ganz in der Nähe, am Bramfelder See, soll eine ganze Kolonie leben. Dieser aber ist ein Einzelgänger oder vielleicht werdender Vater? Er ist einigermaßen zutraulich. Wenn ich mich behutsam nähere, dann lässt er mich geduldig meine Fotos machen. Gehe ich zu forsch vor, dann fliegt er einfach auf einen der hohen Bäume am Ufer.
Der mythologische Vogel Phoenix ist dem Reiher nachempfunden. Die alten Ägypter kannten ihn gut, denn er ist am Nil heimisch. Man sagt ihm also eine Unsterblichkeit nach, die allerdings alle tausend Jahre durch Selbstverbrennung erneuert werden muss. Begegnet man dem Reiher in freier Natur, dann lautet die symbolische Botschaft: Geduld. Mache es wie der Reiher, konzentriere dich auf eine Sache, nämlich die wichtige, und bleibe dann am Ball. Dieser Graureiher hat Hunger und braucht ein nahrhaftes Frühstück. Und plötzlich stößt er mit dem Schnabel zu, pickt noch einmal nach und reißt dann einen zappelnden Frosch in die Höhe.
Eine Krähe hüpft aufgeregt näher. Sie hofft auf Beifang. Aber das wird nichts, denn der Frosch schmeckt dem Reiher zu gut, um etwas liegenzulassen. Mir wäre ein Frosch am frühen Morgen zu proteinhaltig, aber jeder nach seinem Geschmack. War das nun ein zufälliger Erfolg? Hatte ich großes Glück, den Reiher gerade beim Fang des Frosches zu fotografieren. Nein, es dauert gar nicht lange und er hat den nächsten im Schnabel. Das ist hier wohl ein guter Fanggrund. Obwohl der Vogel so groß ist und gut zwei Kilogramm schwer wird, nistet er auf hohen Bäumen. Er kann gut fliegen und steht mit den langen, staksigen Beinen sicher auf dünnen Ästen. Das konnte ich ja schon bei meiner ersten Sichtung beobachten, von der ich erzählt hatte. Ich mache noch ein paar Fotos, dann lasse ich den Reiher alleine. Das Wetter ist so schön, dass es mich weiter lockt. Ich habe ja schon zu Hause gefrühstückt und muss deshalb nicht stundenlang am Teichrand verharren. Und zack, da passiert es wieder. Der nächste Frosch wird am Schenkel gepackt. Guten Appetit.