Meinen letzten Abend verbringe ich mit George im Garden Gate.  Das ist unser Home-Pub in nächster Nachbarschaft. Dieses Pubs sind wunderbare Orte, die ich in Hamburg schmerzlich vermissen werden. Denn Kneipen sind es nicht. Sie haben viel mehr zu bieten. Das Garden Gate hatte sofort meine ganze Zuneigung, als ich auf der Hinweis-Tafel am Eingang den letzten Punkt las: “Dog friendly. Woof.”

Pubs sind das zweite Wohnzimmer des Engländers. Sein eigenes ist räumlich oft ziemlich klein, 15 qm sind schon viel, und kann deshalb Besuchern keinen Platz bieten. Stattdessen trifft man sich im Pub. Meistens ab mittags geöffnet bis in die Abendstunden. Das Garden Gate macht immer noch um 23:00 Uhr dicht, obwohl die Sperrstunde längst aufgehoben ist. Aber das reicht auch, denn man kommt nicht her, um sich zu betrinken.

Ich war oft nachmittags dort, habe einen Kaffee getrunken, meinen Laptop angeschaltet, E-Mails beantwortet und einen Beitrag für diesen Blog geschrieben. Nachbarn kommen und gehen, man hält einen Schnack und niemand wird ausgeschlossen. Es ist selbstverständlich dort alleine hinzugehen und sofort findet man seine Leute. Schon ist man in netter Runde. Schon nach wenigen Tagen kannte ich die neuen Nachbarn und sie wussten wer ich bin. In Hamburg gibt es viele Leute in meiner Straße, die ich zwar vom Sehen kenne, aber ansonsten haben wir nie ein Wort gewechselt. Eigentlich schade.

Der Stammgast in London darf sich regular oder local nennen. Man kennt George schon lange und akzeptierte mich auf Anhieb. Aber wir, und alle anderen locals, genießen keine Sonderbehandlung. Bestenfalls kann ich darauf vertrauen, am Tresen wahrgenommen zu werden, wenn ich die nächste Runde für uns bestelle, sofort bezahle und die vollgefüllten Gläser dann selbst zum Tisch bringe. In den Pubs wird grundsätzlich nicht bedient und man gibt auch kein Trinkgeld. – Bestellt man eine Mahlzeit, dann ist es anders.

Der Wirt wird respektvoll landlord genannt und das trifft es gut, denn er ist der Boss. Hier ist nicht der Kunde König, sondern der landlord. Seine Autorität sollte niemals infrage gestellt werden. Wer das nicht akzeptiert, kann sofort wieder gehen. Man stellt sich artig an, bittet höflich um ein Bier und bedankt sich, wenn er es einem zapft. Und dort, wo man warm essen kann, wartet man ab, bis jemand kommt, der einen Platz zuweist. Und der wird akzeptiert oder wenn und aber. Die deutsche Art, hineinzustürmen, sich an einem Tisch niederzulassen und kurz später nach der Bedienung zu rufen, wäre zwecklos. Niemand würde reagieren, am allerwenigsten der landlord.

Mir war die klare Rollenverteilung eigentlich von Anfang an sympathisch, wenn auch zunächst unverständlich. Dann aber verstand ich, dass wir uns hier im ‘zweiten Wohnzimmer’ befinden und nicht in einem Restaurant oder in einer Kneipe. Wie im eigenen Zuhause, wo vielleicht der Vater oder die Großmutter, die absolute Autorität ausüben, so ist es auch hier. Und hier sind wir eben zu Besuch, im urgemütlichen Gastraum des landlords und haben uns zu benehmen. Wer die Regeln akzeptiert, hat Familienanschluss gefunden und wird gegen alles Böse beschützt.

Das Auge isst mit, aber vielleicht gilt das auch fürs Trinken. Letztens sagte jemand, das Auge liest mit, aber das ist dann schon wieder Humor der besonders feinen Art. Hier im Garden Gate werden viele Biere angeboten. Das süffige, obergärige ale, was de-facto ein Synonym für Bier ist, gibt es von vielen Brauereien. Es reicht also nicht einen pint ale zu bestellen, sondern man muss auch sagen, welche Sorte man gerne hätte. Mir ist es lieber, wenn das Bier wenig Alkohol hat, und ich bestelle deshalb immer ein Real Ale Mild oder das London Pride, das wohl überall in der Stadt getrunken wird. Die Ale-Sorten werden noch in alter Weise gepumpt, nur mit Muskelkraft ohne Kohlensäure, und folgerichtige muss ich auch kein nächtliches Sodbrennen fürchten.

 

 

Also hier, in dieser liebgewonnenen Atmosphäre, habe ich mich von London ziemlich wehmütig verabschiedet. Wie immer trafen wir Nachbarn, Bekannte, Freunde und standen schnell in einer fröhlichen Runde. Alle redeten durcheinander, es war laut, ich verstand nichts und amüsierte mich doch prächtig. X-mal musste ich erzählen, wie in Deutschland angestoßen wird, man fand es zum Totlachen, auch wenn die Pointe längst bekannt war.
Engländer gehen direkter zur Sache. Man holt ein neues Glas Bier (für alle in der Runde), sobald der Schnellste sein Glas ausgetrunken hat und dann heißt es wash down. Ohne Augenkontakt, ohne zu warten oder gar ‘Prost’ zu sagen. Das Anstoßen ist dem Engländer unbekannt. Trotzdem sollte ich es immer wieder vormachen. Na, gerne doch.

Dafür komme ich im Laufe des Abends den Londonern auf ein Geheimnis! Und zwar bezüglich der Aussprache. Endlich weiß ich, warum es für sie so einfach ist, die nicht immer einfachen Worte ganz locker aus dem Mund purzeln zu lassen.

Erst dachte ich, nur George würde es so machen. Vielleicht ein letzter Rest seines Brummi-Akzents? Aber nein, sie machen es ALLE! Nämlich sie sprechen kein “th” aus!!! Unfassbar, da quäle ich mich durch ein halbes Dutzend Schuljahre, stecke die Zunge durch die Vorderzähne, versprühe Spucke und Zischlaute und dann erfahre ich, dass das ganz unenglisch ist.

Ob Sie es glauben oder nicht, der Londoner (Engländer?) spricht statt eine “thßßßßß” einfach ein ganz entspanntes “ffffff”. Zunge schön hinter der unteren Zahnreihe liegen lassen, Unterlippe locker gegen die Schneidezähne legen und fertig. – Das muss ich erst einmal verdauen.

Wir gehen früher als sonst nach Hause. Ich muss meine Sachen packen. Ich bin ein wenig traurig, aber dann gibt George mir mein Valentine-Geschenk schon vorab: Flug-Tickets für den 14. Februar! Na dann, bis bald.