Wir frühstücken immer mit der Tageszeitung. Da werden die Seiten hemmungslos umgeblättert und verteilt. Irgendwann sind Toast, Butter und Marmelade flächendeckend unter dem Druckwerk vergraben, aber wir sind ja schon satt. Es macht dann auch nichts, wenn der Tee nach und nach vom Sportteil aufgesogen wird. Dann schenkt man eben noch mal nach.
George liest Zeitungen, die ich eher als konservativ bezeichnen würde, also vergleichbar mit der WELT oder FAZ. Und doch reicht mir meistens ein einziger Blick auf die Schlagzeilen, um in lautes Gelächter auszubrechen. Das passiert mir bei der WELT oder FAZ selten. Da ist mir eher schon mal nach Weinen zumute.
Aber die freundlichen, liebenswerten Engländer haben einen herzerwärmenden Humor, den ich täglich besser verstehe und täglich mehr liebe. Sie schaffen es immer wieder, durch originelle Wortwahl dem Zuhörer Bilder ins Gehirn zu zaubern, die ihn zum Lachen bringen müssen. Also der Witz ist keineswegs im Text vorhanden, sondern er entsteht erst beim Leser im Kopf. Heute Morgen zum Beispiel wird vor einer Schnee- und Eisfront gewarnt. Ein ernstes Thema, man erwartet Unfälle und fürchtet besonders um Alte und Kranke. Und doch wird eine Schlagzeile gefunden, die ein kleines Augenzwinkern enthält: “Brrritain to shiver in sub-zero Arctic wind chill“.
Mal seh’n, wie sich das entwickelt. Heute will ich aber über eine andere Schlagzeile berichten. Sie war gestern auf allen Titelseiten und abends auch in den BBC-News. Es ging um Biber (beaver). Man hatte ein Pärchen in Devon gesichtet. Das ist der Landstrich nördlich von Plymouth, also ganz im Südwesten der Insel. Mit einer Nachtsichtkamera war es gelungen, ein Biberpaar im Wasser schwimmend aufzunehmen.
Und was ist daran nun so sensationell? Wenn ich mir ein bisschen Mühe gebe, wird es mir bestimmt gelingen, einen Biber an der Alster oder sogar im Brook zu sehen. Besonders scheu sind die Nager wirklich nicht, es sei denn, die englischen Verwandten ticken mal wieder ganz anders? Also frage ich meinen Fachmann, George. „Was ist an Bibern so besonders?“ Er schaut kurz auf den Artikel und grummelt: „It’s the first sighting in Countryside in 500 years.“ „Seit 500 Jahren??? Ich spreche von Bibern, hörst du mir überhaupt zu?“ „I yam hundred per cent with yaouw.“ Brummie-Dialekt, also hört er nicht zu. Aber George ist, wie so viele Engländer, sehr ernsthaft an der Natur interessiert und kümmert sich aktiv um deren Schutz. Seine akademische Profession hindert ihn nicht daran, in der Freizeit Kräuter und Gemüse im Garten zu züchten. Und im Sommer wird er wieder Bienen haben und sich ihnen mit Leidenschaft widmen. Also sollte er auf jeden Fall mehr über die Biber wissen, auch wenn die Tiere lange nicht mehr gesichtet wurden.
George legt dann doch die Zeitung beiseite und erzählt Spannendes. Die Nager wurden im 16. Jahrhundert ausgerottet. Der letzte Biber wurde wohl 1526 getötet. Danach tauchten die Tiere nie wieder auf. England ist halt eine Insel. Erst in den letzten Jahren wurden einige Exemplare importiert, aber alle lebten in strenger Gefangenschaft. Es war sehr umstritten, ob der Biber wieder angesiedelt werden sollte, denn man fürchtete mehr Schaden als Nutzen. Dann entkamen wohl einige Tiere, das war im letzten Februar, also vor einem Jahr. Und das jetzt gesichtete Pärchen, bzw. es sollen drei Tiere sein, zwei Erwachsene und ein Jungtier, könnten die ersten Nachfahren sein, die seit Jahrhunderten wieder in Freiheit geboren worden sind. Deshalb ist es eine Top-Nachricht und landete auf der Titelseite.
Und zusätzlich wurde die erfreuliche Entscheidung getroffen, dass die Tiere bleiben dürfen und dass man sie wieder ansiedeln will. Ein Re-Einführung-Programm wurde genehmigt. Sofort meldeten sich mehr als 10.000 Leute, die ihre Unterstützung anboten. So sind sie, die naturbegeisterten Engländer.
Soweit die Biber, aber nun war George in Schwung und wollte mehr: „Simple words you do not know, or you will not understand, but you don’t ask for the meaning of ‘beaver’. Strange.“ Na, da wußte ich aber zu kontern, schließlich bin ich begeisterte Tierfotografin und interessiere mich natürlich für deren Bezeichnungen. Deutsch oder Englisch. “Well, blow you down, I even know the meaning of ‘badger’!” Das sollte George beeindruckt haben, denn ‘badgers‘, also Dachse, sind ja viel seltener zu sichten als ‘beavers‘.
Aber da lag ich mal wieder völlig daneben. Während Dachse in Deutschland als äußerst scheu und ausschließlich nachtaktiv eingestuft werden, -Sichtungen sind deshalb so gut wie ausgeschlossen-, scheinen sie in England eine echte Plage zu sein. Ein Massenphänomen, dem man auf Schritt und Tritt begegnet. Wie wäre es sonst zu erklären, dass man Autofahrer mit Warnschildern auf Dachs-Wechsel hinweist? Kein Scherz!
Im Radio werden neue Wetterwarnungen durchgegeben. Schnee ist gefallen, die Temperaturen sind unter null Grad und es soll schlimmer kommen. Das scheint George jetzt tatsächlich zu beeindrucken. Alle heutigen Termine werden erst einmal abgesagt. Ich versuche zu beruhigen: Der Schnee ist im Schottischen Hochland gefallen (max. 10 cm Höhe), das Thermometer zeigt vier Grad plus an, nur der GEFÜHLTE chill wind ist kälter und die Schneefront wird erst morgen weiter in den Süden ziehen. Und wenn sie dann in London angekommen ist, werden wohl nur noch wenige weiße Flocken an Bord sein.
Aber das überzeugt ihn nicht. Im Radio tönt es: “UK weather; snow chaos will spread to the south”. Schools and airports across the country were forced to close. The North-West suffered under ‘thunder-snow’.” Was soll das sein??? Der PM, David Cameron, “took unusual step of intervening to warn the public“. Das Land erwartet den Untergang. Roter Alarm. Dazu diese, -mich nicht wirklich überzeugenden Bilder-, im Web:
George sieht das anders. Das Frühstück wird endgültig beendet. Er marschiert upstairs. Was macht er da? Geht er wieder ins Bett? Will er gut gewärmt den Naturgewalten trotzen? Mir soll’s Recht sein, aber vorher gehe ich erst einmal zum Baumarkt. Mal seh’n, ob nicht doch irgendwo im Königreich Streusalz und Schneeschieber aufzutreiben sind. Und wenn nicht, -ich befürchte es fast-, dann bleibt mir noch immer das Schlafzimmer. Ich werde berichten.