George muss arbeiten. Passiert selten, aber heute Morgen hat es ihn erwischt. Ich bin also alleine und kann Touristin spielen. Ich gehe zum nächsten bus stop und steige in die Linie C2, mit der Endstation Victoria Station ein. Zentraler geht’s nicht.
Der Fahrpreis halbiert sich, weil ich mir eine oyster card besorgt habe. Mit dieser pre-paid Karte kann ich Bahn und Bus benutzen. Ich habe sie in einem der vielen Corner Shops gekauft; die ein ähnliches Sortiment haben, wie wir es von Tankstellen kennen.
Der Bus kommt. Hier gibt es ausnahmsweise mal keine queue. Ein Anstellen in der Schlange macht keinen Sinn, weil die Haltestelle von mehreren Buslinien frequentiert wird und man nicht wissen kann, wer als nächster halten wird. Natürlich habe ich Stadtplan, Bus- und Bahnlinien im Taschenformat bei mir, aber auf das wichtigste hat mich George zum Glück rechtzeitig aufmerksam gemacht.
Nämlich, dass der sehr übersichtliche Streckenplan der U-Bahn leider ganz und gar nicht mit dem tatsächlichen Straßenverlauf übereinstimmt. Wer sich also am Übersichtsplan orientiert, läuft schnell in eine Touristenfalle.
Zum Beispiel liegen die Stationen Regent’s Park und Great Portland Street weit auseinander. Zudem werden sie auch noch von unterschiedliche Linien angesteuert. Man muss also umsteigen, wenn man diese Strecke fahren will. Tatsächlich aber liegen die beiden Bahnhöfe keine 50 Meter auseinander! Da reibt man sich dann verblüfft die Augen, wenn man nach ca. 20 Minuten Bahnfahrt, exakt an derselben Stelle im Straßennetz auftaucht, an der man auch gestartet ist.
Aber ich wurde gut gebrieft *) und kann starten. Der Bus kommt. Wir fahren die Albany Street am Regent’s Park entlang. Den kenne ich ja schon. Dort ist der Zoo, aber die größten Teile sind grüner Park, Wasserflächen, Spielplätze. Eine Oase für Fußgänger. Betreten der Rasenflächen erlaubt, sogar ausdrücklich erwünscht. Das gilt natürlich auch für Hunde.
Dann geht es weiter zum Oxford Circus. Hier treffen wohl fast alle Buslinien aufeinander. Der gleichnamige Bahnhof wird außerdem von drei U-Bahnlinien angefahren. Aber ich bleibe im Bus sitzen, schließlich will ich die Stadt sehen und nicht den Untergrund kennenlernen.
Soho lassen wir links liegen und steuern jetzt auf die nächste Parkanlage zu. Hier an Hyde Park Corner treffen sich der Hyde- und Green Park, der seinerseits nahtlos in den St. James Park übergeht. Vorbei an den Royal Mews, wo die königlichen Kutschen besichtigt werden können, und dahinter entdecke ich auch schon den Buckingham Palace. Hier steige ich kurz entschlossen aus. Die Victoria Station ist auch schon in Sicht, aber von dort müsste ich die Strecke wieder zurückgehen, denn natürlich will ich jetzt den königlichen Palast aus nächster Nähe sehen.
Ist die Königin anwesend? Eine Flagge ist gehisst, aber das ist inzwischen immer der Fall. Später erfahre ich, dass man unterscheiden muss zwischen königlicher und britischer Fahne. Aha. Keine Ahnung, welche es nun war. Trotzdem, der Palast ist beeindruckend und irgendwie kann ich auf einmal nachvollziehen, warum die Engländer so stolz auf ihre Königin sind. Das ist schon sehr aufregend, sich vorzustellen, dass sie sich da drinnen aufhält.
Für einen stolzen Betrag kann man Teile des Palastes besichtigen, aber ich will weiter. Ich komme bestimmt wieder. Die Besichtigungen sind aber nur im Sommer möglich, wenn die königliche Familien Ferien in Schottland macht. Man wird also niemanden versehentlich über den Weg laufen können.
Ich will zum gefühlten Mittelpunkt dieser Stadt. Das ist für viele der Trafalgar Square, auf dem Straßen mit berühmten Namen münden: Strand, Pall Mall und Whitehall. Außerdem endet hier the Mall, die schnurgerade Allee, die als Kulisse dient, wenn die Royals zu besonderen Anlässen in ihrer goldenen Kutsche unterwegs sind.
Die Nelson column ist ziemlich hoch, bzw. der Admiral, der auf der Spitze steht, ist ein wenig klein geraten. Ich bräuchte ein Fernglas, um ihn zu sehen. Später erklärt man mir, dass die Säule genau die gleiche Höhe hat, die der Mast seines Schiffes hatte.
Rundherum stehen prachtvolle Häuser, schöne Architektur, aber der große Platz wird ganz klar von der Fassade der National Gallery dominiert. Das ist mein Ziel, hier bin ich mit George verabredet. Bevor wir uns aber in den Dining Rooms treffen werden, schaue ich mir erst einmal die Kunstwerke an, die hier dauerhaft ausgestellt sind. Alle großen Künstler sind hier mit ihren berühmten Bildern zu finden, eine Fülle von alten Meisterwerken.
Meine Zeit reicht nur für einen sehr kurzen Blick in die hellen, freundlichen Säle. Auch hier werde ich einen zweiten Besuch machen. Erstaunt bin ich darüber, dass der Eintritt frei ist!
Während ich in Jeans unterwegs bin, trägt George Nadelstreifen. Elegant sieht er aus, aber es wundert mich schon, wie gut die Engländer im Büro gekleidet sind. Man trägt ausnahmslos Anzug und Krawatte. Die Damen in Kostümen, klassisch einfarbig, dazu elegante Schuhe. Weil sie oft mit dem Fahrrad ins Büro fahren, haben sie meisten viel zum Wechseln dabei.
Erneut betrete ich die National Gallery durch den Haupteingang. Da stehe ich also in den ehrwürdigen Hallen. Zum Glück habe ich zur Jeans Lederschuhe angezogen, die Outdoor-Treter hätten jetzt gerade noch gefehlt, und doch fühle ich mich auffallend falsch gekleidet. Aber George scheint es nicht zu bemerken; Liebe macht blind. Mein unbequemes Gefühl weicht schnell, denn ich habe von meinem Ausflug richtig Hunger bekommen und der hilft mir meine Unsicherheit schnell zu vergessen.
Nach Hause geht’s im Auto. Noch kommen wir ganz zügig voran. Etwas später, in der rush hour, wäre das unmöglich. Im Radio singt Neil Diamond
Money Talks … und dann kommt der Refrain und ich singe lauthals mit, denn meine fröhliche Stimmung will raus: “Reverend blue jeans, babe, maybe tonight” trallala dobee do.” Dann singt Neil alleine weiter, bis ich wieder einstimmen kann: “Reverend blue jeans …”.
George guckt mich an: “What you’re singing? Reverend blue jeans????” Ich: “Ja, nice song, innit?” George: “Yeah, but it’s rubbish, you know?” Warum soll es Blödsinn sein? Ich weiß gar nicht, worauf er jetzt hinaus will. Das Lied ist so alt, dass ich den Text fast auswendig mitsingen kann. Solche Gelegenheit muss ich doch nutzen. Wie oft fehlen mir die Worte, hier kann ich endlich mal glänzen.
George fragt mich mit hochgezogener Augenbraue: “You know, he’s singing ‘forever in blue jeans’? Of course not ‘reverend blue jeans’!” Ich gehe die Sache mal kurz im Kopf durch: ‘für immer in Blue Jeans’ oder lieber ‘Pastor Blue Jeans’? Dann fällt der Groschen, nach Jahrzehnten! Ich bin platt und sage zu George: “You’re dead right!! Else, it doesn’t make any sense!!! Or?” Gut, dass wir darüber gesprochen haben. Dudeldudidei, forever in blue jeans.