Nach einigen Tagen London bin ich wieder in Hamburg, mit Katerstimmung. Ich liebe Hamburg, um es gleich vorab zu sagen, und doch hat London mich süchtig gemacht. Mir fehlt einiges: Das Shoppen in den wuseligen high-streets, das Nachtleben und der small-talk! Gut, George fehlt mir auch, aber das werde ich ihm jetzt nicht per Internet ins Ohr flüstern.

Manchmal scheint es mir in diesen Tagen, als hätte ich mich neu erfunden. Noch vor wenigen Wochen hätte mich etwa der in England unvermeidliche small-talk in Rage versetzt. Diese unverbindliche Unterhaltungsform, die keinen Inhalt hat, empfand ich bestenfalls als Zeit totschlagen. So manches Mal war ich kurz davor Honorar zu verlangen, wenn mich wieder jemand ohne Ende vollquatschte, ohne auch nur das Geringste mitzuteilen.

Heute Morgen aber fehlte mir der so typisch englische small-talk schmerzlich. Mir fehlte dieser verbale Ringelrein, wollte meine Tagesdosis unbedingt haben, und so fuhr ich kurzerhand ins Einkaufszentrum (AEZ) nach Poppenbüttel. Wer mich kennt, wird diesen Beitrag für erlogen und erstunken halten, denn ich bin dafür bekannt (gewesen), dass ich bisher um Menschen einen großen Bogen gemacht habe. (Ich bin Asperger-Autistin). Heute Morgen jedoch tauchte ich mit Wonne in die Menschenmenge ein und ließ mich von ihr mitziehen.

Kaum war ich dort, ging es mir schon gleich besser. Der Lärmpegel stimmte. Ein Abstecher in die Thalia Bücherei war ein erster Versuch einen small-talk zu starten. Was hätte man nicht alles an Belanglosigkeiten über die Bücher austauschen können, stattdessen berät mich der Verkäufer sach- und fachgerecht. Ach, diese Deutschen, immer so effizient. Keine 5 Minuten später hatte ich alles gefunden, was sich zur Mitnahme anbot und so verließ ich etwas enttäuscht das Geschäft.

Vielleicht einen Kaffee irgendwo trinken? Aber sich einfach bei jemandem an den Tisch zu setzen, um dann über das Wetter, den nicht stattfindenden Winter, gefolgt von Bus- und Bahnpannen und schließlich über die niedrigen Benzinpreise zu reden (Reihenfolge ist wichtig!), kommt bei meinen hanseatischen Mitbürgern wahrscheinlich gar nicht gut an.

Die hohe Kunst des small-talks ist es, sich ebenso unauffällig wie ausgiebig zu ‘beschnüffeln’. Man konzentriert sich auf das Äußere des Gegenübers, seine Stimme, sein Lachen, seine Kleidung, seine Hände, seine Zähne, sein Geruch … Nach einer solchen ‘Begutachtung’ weiß man wirklich ziemlich genau, ob es Sinn hat, ein echtes Gespräch mit ihm/ihr anzufangen. Man weiß, ob man Gemeinsamkeiten hat, ob die Chemie stimmt und ob man sich sympathisch ist.

Natürlich kann man sich während dieses Rituals nicht auch noch um kluge Wortbeiträge kümmern und deshalb läuft dieser Teil, also das Gespräch nach festen Regeln ab, die jedem Engländer genetisch eingeimpft sind.

Es ist einfach. Man zeigt sich von der besten Seite, lächelt, signalisiert Interesse, fixiert aber niemals die Augen des Gegenübers. Immer ein Stück daneben verweilen. Was immer der Eine sagt, wird vom Anderen freudig bejaht. Egal, was es ist. Niemals widersprechen und vor allem niemals mit Fakten kommen! Todsünde, die mit sofortigen small-talk Abbruch bestraft wird. Klar, für uns Deutsche ist das schwierig, nicht umsonst werden wir als ‘know-all’ bezeichnet, was irgendwo zwischen Besserwisser und Klugscheißer einzuordnen ist.

Wie sollte ich also an den perfekten small-talk Partner(in) mitten im AEZ kommen? Ganz einfach. Ein Einkauf in der Parfümerie Douglas macht’s möglich. Offen gesagt war ich da schon seit Jahren nicht mehr, denn wenn ich wie so oft im Brook unterwegs bin, um Tiere zu fotografieren, dann stört Parfüm ganz ungemein. Aber heute Morgen war ich in Spendierlaune und gönnte mir das Vergnügen.

Kaum stand ich vor dem Tisch mit Herrendüften (Valentinstag kann kommen) kam auch schon eine sehr attraktive, sympathische Fachverkäuferin auf mich zu. Ich mochte sie auf Anhieb und sofort starteten wir den perfekten small-talk. Dreißig Minuten später und gut 100 Euro leichter verließ ich glückselig die Parfümerie. Ach, hat das gut getan! Und das meine ich ganz ehrlich, keine Ironie. Die fröhliche Stimmung, die ich gratis mitnehmen durfte, hält noch immer an.

Aber was wird morgen sein? Jeden Tag zu Douglas wird mir zu teuer. Auf Anhieb fällt mir niemand ein, der bereit ist, sein hart erarbeitetes Wissen einfach mal für eine halbe Stunde für sich zu behalten. Ich glaube, ich werde einfach Dorfhund Loki im Museumsdorf besuchen und mich mit ihm ein bisschen unterhalten. Ist es nicht genau das, was wir an unseren Haustieren so lieben? Sie schenken uns ihre ganze Aufmerksamkeit ohne Wenn und Aber. Eben small-talk.