Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, der uns beschützt und der uns hilft, zu leben. (Hermann Hesse)
Silvester bin ich zum allerersten Mal in London. Hier, in der dieser Welt-Metropole, will ich das neue Jahr begrüßen. Für mich wurde es höchste Zeit einmal die Insel zu besuchen, schließlich hatte ich schon im letzten Jahr meinen Sechzigsten gefeiert. Erst jetzt habe ich richtig Zeit zum Reisen, aber meine Neugier auf Neues hält sich noch immer in Grenzen.
Und so ist mein Kurzbesuch in London auch nicht alleine der Entdeckerlust geschuldet. Es gibt einen gewichtigeren Grund. An dieser Stelle muss ich George erwähnen; er war es, der mich über den Kanal gelockt hat.
Eigentlich kenne ich ihn erst seit wenigen Wochen. Wir liefen uns in meiner Heimatstadt Hamburg über den Weg. Im Wald! Der typische Brite liebt die Natur. George ist Engländer, lebt in London und versteht am liebsten ausschließlich Englisch.
Selbst äußert er sich ohnehin nur in seiner Muttersprache, weil er und seine ca. 53 Millionen Mitbürger (ohne Schottland, Wales und Nordirland) weltweit im Urlaub die Erfahrung machen, dass ALLE Menschen gerne Englisch sprechen. Also warum sich selbst mit Fremdsprachen abquälen, wenn der Rest der Menschheit das schon gemacht hat?

Nun hat man mir immerhin acht lange Jahre Englischunterricht in der Schule erteilt, aber das versickert dann doch im Laufe des Lebens merklich. Ein wenig brush up erlebte ich in meinen letzten Arbeitsjahren. Ich war bei einem Global Player beschäftigt, mit Firmenstammsitz in London! Ab Millenniumswechsel wurde die Alltagssprache in meiner Firma zunehmend mit englischen Schlagworten durchsetzt. Wir kennen es alle aus der Werbung und nutzen sie gerne: Handy, Beamer, Bodybag …
In englischen Ohren ist das alles Quatsch: Das Handy heißt mobile (phone). Der englische Vater sagt zwar gerne mal zu seinem Baby: „Lovely teeny-weeny handies!“, und meint damit die winzig kleinen Patschhändchen, die sich ihm entgegenstrecken, ansonsten ist ‘handy’ aber ausschließlich als Adjektiv verwendbar.
Der ‘beamer’ ist ein spezieller Wurf beim Cricket. Autofans bezeichnen ihren BMW als ‘beamer’ und werden sich wundern, dass so etwas in deutschen Wohnzimmer steht. Falls Sie aber mit ihrem TV-Flachbildschirm angeben wollen, benutzen sie besser das Wort ‘projector’. Das TV nennt man einfach ‘telly’.
Und mit dem Wort ‘bodybag’ kann man Engländer richtig verunsichern. Während bei uns nicht ganz klar ist, ob damit der Rucksack oder die Gürteltasche gemeint ist, denkt der Engländer eindeutig an den ‘Leichensack’, denn das ist die korrekte Übersetzung. Also Vorsicht beim Taschenkauf.
Ganz zu schweigen vom ‚coffee to go‘. Immerhin erntet man ein paar Lacher, um die Verständnislosigkeit zu überspielen. Was sollen sich die Engländer auch unter eine Kaffee-Gehhilfe vorstellen? Fragen Sie also lieber gleich nach einem ’take away coffee’, dann klappt es auch mit dem Pappbecher.
Beim romantischen Abendessen im feinen Londoner Restaurant Rules machte ich dann meine eigenen (peinlichen) Erfahrungen. Eigentlich befand ich mich sprachlich auf sicheren Terrain. Der Kellner nahm die Bestellung auf: Fleisch, Gemüse, Salat, ein unspektakuläres Menü.
Um den Wein hatte sich George gekümmert, blieb mir also nur noch die Frage, ob ich das Steak denn nun lieber blutig, normal oder gut durchgebraten haben will. Eigentlich keine Hürde, aber vielleicht war ich doch ein wenig aufgeregt, auf jeden Fall kam mir so etwas wie: „No, please not bloody“ über die Lippen.
Der Kellner zog die Augenbraue hoch. Alarm! So viel hatte ich inzwischen mitbekommen, ein Engländer beschwert sich nie (öffentlich). Zucken im Gesicht, schlimmstenfalls ein leichtes Kopfschütteln, bedeuten tiefste Ablehnung. George übernahm und grummelte „medium“ zum Kellner. Ich sagte: „Ja, klar. Hab’ ich doch gesagt. ‘Nicht blutig’ oder ‘medium’ kommt doch aufs selbe ‘raus.“ Daraufhin George: „Would be surprised if they offer bloody steaks.“ Ich: „Why???“ „The restaurant is popular for its good cuisine.“
Langsam dämmert es mir. ‘Bloody’ heißt zwar wortwörtlich genutzt auch ‘blutig’, aber es wird ausschließlich im Sinne von ‘verdammt, beknackt, doof’ eingesetzt! Etwas später wird das Essen gebracht. Das Fleisch ist köstlich, auf den Punkt gebraten. Ich hauche ein „thank you“ in Richtung Kellner und lasse es mir schmecken. Es wurde noch ein netter Abend. Wir hatten viel Spaß und haben uns sehr viel erzählt.
Was George wohl tatsächlich verstanden haben mag? Bloody language!
Wir haben den Abend im Steakhouse ‘Rules’ verbracht. Glücklicherweise hat es die schwierigen letzten Jahre wirtschaftlich überlebt und ist inzwischen wieder gut besucht. Abends sollte man besser einen Tisch bestellen. Man wirbt damit, das älteste Restaurant Londons zu sein, aber das behaupten auch viele andere. Auf jeden Fall gehört das Rules zu den traditionellen Häusern, die einen Einblick in beste englische Tradition bieten. Man sollte sich nett anziehen, obwohl man inzwischen toleranter geworden ist. Aber es gibt Grenzen: ‘No shorts, no sportswear.’