Die Coronabeschränkungen haben mich ein bisschen träge gemacht. Ich bin gerne zu Hause und mache es mir dort gemütlich. Anstatt täglich eine Fototour zu machen, was nur mein Verstand will, hatte ich jetzt die ideale Ausrede: „Ich würde gerne, aber du weißt, wir sollen zu Hause bleiben …“. Perfekt. Und so kam es, dass aus ein paar Wochen ein paar Monate wurden und auf einmal merkte ich, dass ich mich nur noch in der bequemen Komfortzone bewege. Das ist miserabel, denn dort passiert nun mal nichts Neues. So kam es, dass ich anfing wenigstens im Stadtteil und nächster Umgebung meine Spaziergänge zu machen. Die Kamera habe ich immer dabei, denn wenn ich sie nicht mitnehme, begegnet mir hundertprozentig das Du-glaubst-es-nicht. Immer dann entdecke ich Situationen, die mir so nie wieder im Leben begegnen werden. Zum Glück werden die Kameras immer kleiner und leichter, da braucht man nicht mehr den 1-Kilo-Boliden, um gute Bilder zu machen. Wobei sich das ‚gut machen‘ auf die Technik bezieht, der Inhalt, der wie so häufig viel wichtiger ist, braucht kein Hightech und keine teure Ausrüstung. Erfahrung und Hingabe sind die viel bessere Wahl.

Ich war in den Walddörfern unterwegs, genauer gesagt nahe am Volksdorfer Zentrum. Dort sind viele Grünflächen, auch kleine Wälder und Seen zu finden. Eine dieser beliebten Wanderwege führt um ein Gebiet mit dem Namen ‚die Horst‘. Dort trifft man die Volksdorfer, die zum Einkaufen gehen oder mit ihren Kindern unterwegs sind. Hunde werden Gassi geführt und auch Rentner schätzen diese kleinen aber sehr schönen Naturfleck, denn er liegt nahe zu ihren Häusern oder Seniorenheimen. Und dort, auf einem der Wege in der Horst, finde ich den ersten Stein. Er liegt direkt am Wegesrand und ist bunt bemalt. Daneben liegen weitere kleine Kunstwerke, manche mit Bildern andere mit Texten. Meine Neugierde ist geweckt. Ich lese die ersten Steinbotschaften und finde schnell den roten Faden. Hier will man Mut machen, das Ganze hat bestimmt mit der Corona-Pandemie zu tun, denke ich mir und liege damit richtig. Jedenfalls fast.

 

 

Mir kommt eine Familie entgegen. Eltern, drei Kinder und ein noch etwas tollpatschiger kleiner Hund. Vielleicht wissen sie mehr über das Projekt, denn die beiden älteren gehen sicherlich schon zur Schule und das kleine Kind besucht vielleicht die Kita. Ich spreche sie höflich an und bekomme erst einmal ein Lächeln geschenkt und dann die erhoffte Antwort. „Ja, da haben die Kinder mitgeholfen, sowohl in den Schulen als auch in den Tagesstätten. Aber eigentlich ist es ein Projekt für jeden und es haben sich auch alle beteiligt. Man hat schon im Frühjahr angefangen und noch immer werden neue Steine dazugelegt. Man hofft den ganzen Teich umrunden zu können. Noch gibt es eine Lücke, aber die Pandemie ist ja auch noch nicht verschwunden.“ 

An der Straße soll ein Schild gestanden haben, darauf die Aufforderung, man möge sich beteiligen. Alle sind eingeladen, denn in dieser sehr besonderen Zeit ist es wichtig die Gemeinschaft zu stärken. Da kann ich nur zustimmen und ich beschließe selbst einen Stein in den nächsten Tagen herzubringen.

Inzwischen bleibe ich immer öfter stehen, denn wahre Kunstwerke sind zu finden. Manche sind schon von Wind und Wetter etwas ausgewaschen, aber schaut man genau hin, dann erkennt man das Motiv sofort. Besonders herausragend ist sicherlich das Bild der Elbphilharmonie, darunter ein paar dicke Fische. Es ist ohne Frage von einem Künstler gemacht worden. Aber der Elefant, den ich kurz später entdecke, gefällt mir genauso gut. Den mag ich. Genau wie alle anderen, denn jeder Stein trägt eine Botschaft und schnell fühlt man sich angesprochen und unter Freunden. Das Gefühl des Alleinseins verschwindet und das ist unbezahlbar.

 

 

Zu Hause recherchierte ich ein bisschen im Internet und wurde fündig. Das Steinprojekt in der Horst ist Teil eines viel größeren Plans. Er wurde im Februar 2020 von der Kirche ins Leben gerufen. Eigentlich als eine zeitlich befristete Idee für die Passionszeit, -das sind die vierzig Tage vor Ostern-, dann aber wurde man vom Coronavirus eingeholt. Und da merkte man schnell, dass die ursprüngliche Botschaft ‚Was ist stärker als der Tod‘ auf einmal sehr aktuelle Bedeutung hatte. Und so wurde der Aufruf ’normale Steine mit einer kurzen Botschaft und bunter Farbe‘ am Wegesrand auszulegen, praktisch von ganz alleine verlängert. Aus den ‚Ostersteinen‘ wurden ‚Coronasteine‘ und aus vierzig Tagen wurden mehr als dreihundert. Ganz bewusst hatte man darauf gehofft, dass andere die Steine zufällig finden und sich daran erfreuen. Die Aktion wurde zu einer erfolgreichen Hoffnungsbewegung und das in einer Zeit, in der wir es am meisten brauchten.

Ich war jedenfalls sehr überrascht, als ich die Steine entdeckte. Und je mehr ich mich mit den Botschaften und den bunten Bildern beschäftigte, desto leichter wurde mir ums Herz. Schließlich kam ich über das Projekt auch noch mühelos ins Gespräch mit anderen Spaziergänger. Also ich würde sagen, die Idee der Ostersteine ist eine der besten des Jahres. 

 

 

Mir als Engländerin gefallen natürlich die Botschaften am besten, die einen mehr oder weniger versteckten Witz enthalten. Ich war auch erstaunt, wie oft die englische Sprache benutzt wird. Nur eine Modeerscheinung oder kann man mit ihr die Gefühle spannender ausdrücken? Da mag etwas dran sein, jedenfalls wenn es sich um kurze Botschaften handelt. Mein Favorit in dieser Sparte ist die Werbung für Nivea. War da ein Beiersdorff Mitarbeiter am Werkeln? Stellvertretend für alle, die teilgenommen haben, bedanke ich mich bei Kalle + Anton. Ihr habt mir alle den Tag versüßt – yes, you made my day!